Vielleicht hat es so lange gedauert, bis es zu diesem Text kam, weil es so schwer ist, sich Scheitern einzugestehen? Weil wir nie gelernt haben, dass etwas „falsch machen“ gut und richtig sein kann. Und dann gibt es ja auch immer mehrere Wahrheiten, meist mindestens so viele, wie es Beteiligte an einer Situation gibt. An unserer Situation sind drei Personen beteiligt: Micha, das Kind und ich. Wobei zwei davon die ganze Zeit damit beschäftigt sind, es der dritten so schön wie möglich zu gestalten, soviel Ungutes wie möglich von ihr fern zuhalten und dabei möglichst trotzdem auch was vom Leben zu haben.
50:50 – gescheitert
Im Spätsommer 2014, also zweieinhalb Jahre nach der Geburt unseres Kindes, waren Micha und ich zu einer Podiumsdiskussion bei den Naturfreunden Berlin eingeladen. Es ging um unser Thema, Rollenverteilung und Aufteilung von Care-Arbeit in der Elternschaft. Als die Einladung kam, war unsere Beziehung in einer großen Krise. Für mich war 50:50 gescheitert. All unsere großen Ideale von der Hälfte der Sorge- und Hausarbeit für jede_n und der anderen Hälfte fürs eigene freie Leben, Lohnarbeit, Selbstverwirklichung, Müßiggang, Muse, Politik,… etc. hatten den Realitätstest nicht oder nur teilweise bestanden.
Jochen König hatte vor gut zwei Jahren mal den Grundwiderspruch einer gerechten Arbeitsteilung in Elternschaft beschrieben. Kurz gesagt, stellt er darin die These auf, dass Männer und Frauen mit ungleichen Voraussetzungen in ihre neuen Rollen als Vater oder Mutter starten. In unserer Gesellschaft ist es, wenn auch nicht supi abgefeiert, dann doch völlig akzeptiert, dass ein Vater in seiner Rolle nicht oder wenig in Erscheinung tritt. Das zeigen auch Zahlen wie die der Alleinerziehenden von minderjährigen Kindern in Deutschland. Es gibt 1,7 Millionen Alleinerziehende von minderjährigen Kindern in Deutschland. 90,1% von ihnen sind alleinerziehende Mütter. Gerade mal 9,9% der Alleinerziehenden sind Väter.
Frauen starten bei 100, Männer bei 0%
Ich finde, und auch in Jochens Text ist das die These, diese Zahlen der Alleinerziehenden zeigen, wie es um die Verantwortungsübernahme eben tatsächlich bestellt ist. Bei Frauen nähert sich der Wert den 100%, während Männer in Sachen Verantwortung für Kinder gegen 0% tangieren. Bei einer Frau wird davon ausgegangen, dass sie ihre Mutterrolle übernehmen wird, denn statistisch und praktisch tut sie es. Während also ein Großteil der (getrennten) Väter überhaupt nicht am Start ist, leisten die (getrennten) Mütter zu 90% Sorgearbeit. Ebendiese Dynamik findet sich auch in (nicht getrennten) Paarbeziehungen wieder, wo zwei Menschen sich eigentlich erstmal daran machen gemeinsam für ein Kind oder mehrere Kinder zu sorgen. Wenn der gewordene Vater sich dann aber in der Gesellschaft umguckt, um zu sehen wie viel machen denn die anderen Väter so, kann und wird er feststellen: Öhm, soviel machen die (Männer) ja alle (auch) gar nicht. Denn für frischgebackene Väter geht’s ab 0% Einsatz los. Und wenn dieser Mann dann, ganz entgegen dem gesellschaftlichen Trend, zum Beispiel 40% der Carearbeit übernimmt, wird er vielleicht hören: „Wow, der macht aber viel für die Familie!“ Während eine Frau, die in der gleichen Familie, dann ja 60% der Haus- und Sorgearbeit macht, zu hören bekommt: „Na die hat’s aber gut, dass ER so viel macht!“
Die blöde, starre Regel
Micha will also gerne zu den Naturfreunden aufs Podium. Er will sich da hinsetzen und erzählen, wie gut „unser Modell“ funktioniert, denn er macht 50% der Sorgearbeit! Ich hingegen habe keine Lust mich auf das Podium zu setzen und davon zu erzählen wie „gut“ „unser Modell“ funktioniert, denn für mich funktioniert „unser Modell“ nicht (so gut)! Ja klar, wir wechseln nach wie vor regelmäßig die Verantwortung fürs Kind, im Sommer 2014 ging K noch nicht in den Kinderladen, da war immer eine Person von uns 48h zuständig, Wechsel war Abends 20 Uhr, nach dem ins Bett bringen. Das funktionierte eigentlich immer, bis auf die Momente, wo Micha die Nächte seiner freien Tage durchgearbeitet hatte und völlig fertig und – aus meiner Sicht – genervt die Kinderschicht antrat, nörglig, meckernd, das Kind, die Familie, die „blöde, starre Regel“ für seine Müdigkeit verantwortlich machend. Dann blieb er am Morgen auch schonmal liegen, während K schon seit 2h wach war. Ich finde das nicht schlimm, noch liegen zu bleiben, ich mach das auch. K spielt dann für sich oder turnt auch mal auf mir rum, es ist dann eher so ein snooze-Schlaf, aber ok. Es ist nicht so, dass ich Micha dieses auskomern nicht gönnen würde, aber wenn Micha nicht für K da ist, sucht die nach ner anderen wachen Person. Mir. Sie kommt dann in mein Zimmer, weckt mich, will mit mir sein. Andersrum passiert das nicht, weil ich die Verantwortung empfinde, Micha an seinen freien Tagen Ausschlafen zu ermöglichen und mich dann doch aus dem Bett quäle, bevor sie zu ihm geht. Micha stellt auf stur: „Was kann ich denn dafür, dass sie dann zu dir kommt? Sie mag dich halt…“
WtF?!
Aber wieder antworte ich: „Es ist aber deine Verantwortung… an deinen Tagen…es ist so ausgemacht…ich mach an meinen Tagen doch auch…blablabla…“ Ich rede und rede, ich fordere und fordere, ich klage und klage. Ich komme von den 100 % und will von der Person mit den 0%, dass wir uns in der Mitte treffen. Aber warum sollte jemand, an den es 0% Erwartung gibt, der 100% der Privilegien inne hat, was von diesen Privilegien abgegeben wollen? Aus Liebe? Zu mir? Zum Kind? Aus Verantwortungsgefühl? Für Sex? Weil’s politisch richtig ist? Alles richtig. Aber alles (fühlt sich verdammt) falsch (an). Und so leben wir seit zweieinhalb Jahren nun nach diesem Aufteilungsmodell und seit zweieinhalb Jahren erklär ich alle paar Tage den Sinn und Zweck des Ganzen. Das nimmt mir viel Energie und macht mich krank, ich hatte einen Bandscheibenvorfall, ich habe permanente Rückenschmerzen, meine Haut reagiert mit einer Autoimmunerkrankung auf diesen Stress. Ich habe keine Sicherheit und Konstanz in dieser Elternbeziehung, ich bekomme keine Ruhe. Zu dem permanenten Micha-erklären-müssen-warum-wir das-hier-alles-machen-und-warum-es-nicht-ok-ist,-dass-er-sich-alle-paar-Tage-bei-mir-darüber-beschwert,-dass-er-sich-zu-deutlich-größeren-Teilen-als-andere-Männer-in-dieser-Gesellschaft-um-sein-Kind-kümmert, kommt:
Dass er das faktisch nicht im abgesprochen Maß tut!
Micha kauft nach wie vor, nur nach Aufforderung Windeln oder Essen ein, räumt erst nach Nachfragen die Spülmaschine aus und seine benutzten Teller erst nach Tagen vom Tisch. Micha hat in zweieinhalb Jahren K ein einziges Mal die Fingernägel geschnitten und noch kein Mal ihre Wäsche gewaschen. Zu all dem sagt er: „Häh? Ich weiß garnicht was du willst, es funktioniert doch, ich nehme sie alle zwei Tage für zwei Tage. Und du bist halt immer schneller mit allem.“ Und dann sagt er oft noch „Ich will dafür kein Lob, ich weiß dass das selbstverständlich ist, aber für mich ist das ganz schön anstrengend, weil im Vergleich zu anderen Männern mach ich so viel mehr und bekomme überhaupt keine Anerkennung!“
50% Sorgearbeit ist mehr als die Hälfte der Sorgezeit
Um noch mal auf die Prozente zu kommen, da sind wir maximal bei einem 60:40 faktischer getaner Sorgearbeit, die ganze Beziehungsarbeit, das Mitdenken, das Einfordern, das ganze Diskutieren und die Energie, die das zieht, noch gar nicht mit eingerechnet. Aber das ist Arbeit! Unterm Strich ist es mir eigentlich egal, warum jede_r ihre_seinen Part der Verabredung einhält. Hauptsache die Arbeit wird geteilt. Aber so einfach ist das nicht mit dem Aufbrechen der vom Patriarchat vorgegebenen Rollen. Und schon gar nicht für uns, die überforderte Generation. Denn als solche sind wir alle, alle Individuen, getrimmt auf Individualismus und die „Du kannst alles schaffen, wenn du es nur willst!“-Logik. Ganz auf neoliberaler Linie sind wir also für unser Schicksal immer schön selbst verantwortlich. Dass wir dabei zu Konkurrent_innen innerhalb der Nahbeziehungen werden, nehmen wir in Kauf. Und wenn was nicht so gut läuft, dann haben wir uns nicht so gut angestrengt oder wollen einfach das Falsche. In jedem Fall ist der Fehler dann bei uns zu suchen. Mit den Strukturen, der uns prägenden, sich dabei aber eben auch verändernden Gesellschaft, den fehlenden Vorbildern etc…. hat das natürlich alles nix zu tun.
Zweieinhalb Jahre Labern, Klagen, Fordern
Also laber ich, seit zweieinhalb Jahren rede und erkläre ich und fordere ein und zeige auf und mache mühselig kleine Politik mit einer Person. Ich bin in einem Dilemma, solange über Rollenverteilung, Care-Arbeit und Privilegien nicht gesprochen wird, solange es als individuelle Entscheidung dargestellt wird, wie viel Verantwortung für Carearbeit jede und jeder innerhalb einer Elternbeziehung übernimmt. Solange der einen nachgesagt wird oder sie es (scheinbar) von sich aus sagt: „och, ich mach das eigentlich ganz gerne und er unterstützt mich ja auch ganz viel und die andere (ich!) die ewig unzufriedene Meckerkuh ist, solange alle frischen Eltern alles alleine in der eigenen Kleinfamilie aushandeln (müssen), anstatt auf Vorbilder, eine Bewegung, die Vereinbarkeits-begünstigende, Geschlechtergerechtigkeits-fördernde Politik oder (bitte, bitte) wenigstens einen Trend zurückgreifen zu können, steh ich auf wackeligem, verlorenem Posten. (Und bevor diese Einwände kommen:) Klar, gibt es die „Vätermonate“, klar, können Väter auch die komplette Elternzeit nehmen (gerade mal 6% aller Väter nehmen allerdings überhaupt mehr als 2 Monate Elternzeit, der Anteil derer, die 12 Monate machen liegt im 0,01 Bereich). Und klar, gibt es immer mehr Väter da draußen auf den Spielplätzen und klar, gibt es diese Elternschaften, wo es heißt: „Also bei uns ist das eigentlich umgedreht, bei uns macht er viel mehr…“
Der große Trend, ich warte noch
Aber wegen ein paar positiver Einzelbeispiele auf Kreuzberger Spielplätzen geradezu inflationär von „den neuen Vätern“ zu sprechen oder so zu tun, als wäre in Sachen Geschlechtergerechtigkeit alles paletti ist für mich feigenblättrige Augenwischerei. Denn nach wie vor muss sich jede Frau*_Mutter* ihre Freiheit selbst erkämpfen und ist auf das Wohlwollen, die feministische Prägung (oder welches good-will-Feature auch immer) ihres Partners angewiesen. Und wenn es mit dessen Bewusstsein für die Verhältnisse, seiner Bereitschaft Privilegien aufzugeben oder kleine Filetstückchen hinzuwerfen nicht so weit her ist, ist es dann nach wie vor, ihre eigene (vööööllig freie!) Entscheidung zu sagen, „Och, ich mach das eigentlich ganz gerne und er unterstützt mich ja auch ganz viel…“
Und ich bleibe die Meckerkuh.