Haare nicht nur auf den Zähnen

Foto: mit queerfeministischer Genehmigung von ing read

Ich bin eine im Sitzen in der Wanne -Duscherin. Schon immer, ich mags mich gemütlich vom Wasser berieseln zu lassen. Dynamisch-gestrecktes in der Duschkabine ist für mich was für dynamische Städtereisen mit Rast in Jugendherbergsduschen. So, jetzt zum Thema. Ich sitze also in der Wanne und dusche, mein anderhalbjähriges Kind steht am Badewannenrand und guckt mir zu. In der Hand einen Becher, da soll ich ihr mit der Brause immer Wasser rein brausen, das sie dann sofort auskippt, ich komm kaum zum einseifen, so stetig kippt sie. Als ich dann doch eingeseift bin, zeigt K auf den Badewannenrand unter den Wasserhähnen: „Da!“ Da liegt mein Rasierer. Ich soll mich jetzt also rasieren. Fordert mich die Anderthalbjährige auf.

Ich rasiere mich normalerweise unter den Achseln und dann den Beinen. Ich mach das (ich bin eine ostdeutsche Spätzünderin) seitdem ich 17 Jahre alt bin, also jetzt dann doch schon mein halbes Leben. Ich hab das so verinnerlicht, dass es wie das „Natürlichste“ von der Welt, jetzt also auch schon von meinem anderthalbjährigen Kind verinnerlicht wurde. Mit anderthalb Jahren kennt K die Abläufe. Ohne Bewertung, sie meint nicht: Rasier die die Beine – wie sieht das denn aus!? Sie weiß nicht: Mit nichtrasierten Achseln wirst du im Sommer oder in der Sauna schief angeguckt. Sie ahnt nicht: Wenns um weibliche Körperbehaarung geht, geht er los der Shitstorm der Maskulinisten. Aber sie fängt gerade an, das zu verinnerlichen: Suse rasiert sich die Beine, wenn Suse duscht, rasiert sie sich die Achseln, denn diese Haare müssen weg. Suse ist mein Vorbild, mein Idol, meine Mama, mein Rollenmuster, mein „Ich zeig dir, wie wirs hier auf der Erde machen.“

K weiß nicht, dass ich schon ewig nicht mehr darüber nachgedacht habe, ob ich mir wirklich die Achseln rasieren will, dass ich eigentlich immer ein kleines Unwohlsein habe, wenn ichs mache, es mir Zeit raubt und ich eigentlich gar nicht weiß, wessen Willen ich da folge. Meinem eigenen? Einem „US-amerikanischen Schönheitsideal“? (Es waren die 90er im Osten.) Daher stammt nämlich mein erster Kontakt mit dem Thema Körperbehaarung. Ich komm aus dem Osten, meine Mutter hatte immer Haare, überall. Ich auch. Ich hab mich als Teenager mega-mäßig gefreut über meine ersten Achselhaare.Bei mir tat sich was! Ich wurde zur Frau! Ich wurde erwachsen!

Und dann kamen Freundinnen von ihrem Austauschjahr aus den USA zurück und erzählten von den Skandalen, die sie ausgelöst hatten, weil sie als das „german girl“ behaarte Beine hatten. Zum Streit mit Gastmutter und Zerwürfnis mit Gastschwester sei es darüber gekommen, allen waren diese deutschen Teenagerinnenhaare peinlich. Dem deutschen Teenagermädchen dann auch. Sie ließ sich gerne(?) von der Gastmutter einen Rasierer schenken und rasierte fortan. Ich war nie in einer amerikanischen Highschool Opfer des Haarspotts geworden, aber auch ich rasierte fortan. Bis heute.

Es gibt diesen Spruch von den Haaren auf den Zähnen. Eigentlich ein schöner, respektvoller, machtvoller Spruch. Ich hab gegooglet. Wenn einer Frau Haare auf den Zähnen nachgesagt werden, dann handelt es sich dabei oft um eine Frau, die besonders machtvoll auf andere wirkt. Die sich was zu sagen traut, unbequem ist, stark und so als gefährlich für die hergebrachte Gesellschaftsordnung empfunden wird.

Früher galt starke Behaarung für große Männlichkeit, für Kraft und große Couragiertheit. Hat jemand Haare an Stellen, an denen gewöhnlich keine wachsen, so sind diese Eigenschaften besonders ausgeprägt. Früher gab es auch die Redensart Haare auf der Zunge haben. Die Wendung wurde dann auf die bissige, schroffe Art einer Frau bezogen. Anderen Quellen zufolge hieß es ursprünglich „Haare auf den Zehen haben“. Da hauptsächlich bei Männern Haare auf den Zehen wachsen, war dies eine Umschreibung für eine besonders „männliche“ Frau.

Um möglichst wenig dieser Kraft und großen Couragiertheit auszustrahlen, hat man Frauen über Jahrhunderte beigebracht sich zurückzunehmen, hat Attribute, die für sogenannte Männer als erstrebenswert gelten zu für sie unschicklichen Beschreibungen degradiert. Keine Frau* will heute Haare auf den Zähnen nachgesagt bekommen. Und wenn wir uns dann doch trauen laut, machtvoll, kräftig zu kommunizieren und uns damit der „Gefahr“ aussetzen als machtvoll wahrgenommen zu werden, dann doch wenigstens schön „weiblich“ glattrasiert. Alles nicht so gemeint. Alles ganz geschmeidig.

Heute hier in der Wanne wird mir klar, K kennt das Mainstream-Schönheitsideal. Sie weiß wie glattrasiert eine Frau im Mainstream-Porno zu sein hat,  sie, die in ihrem Leben noch nicht mal eine Folge Teletubbies geguckt hat. Aus ihr spricht, wenn sie mich ans Rasieren erinnert, das normierte Schönheitsideal der ganzen Gesellschaft da draußen, wo Männer haarig sein dürfen und Frauen ab den Augenbrauen aalglatt sein müssen. Das will ich nicht für K und nicht für mich. Ich will, dass K sich auch freuen wird über ihre Achselhaare, wenn sie wachsen und ihr signalisieren: Hier tut sich was, dein Körper verändert sich und das ist was cooles und schönes und nix, was du bekämpfen musst!

„Da!“ zeigt K mir nochmal den Rasierer und grinst mich aus ihren Knopfaugen an. Ich sage: „Nee, den brauch ich nicht. Find ich Quatsch. Ich zeig ihr die Stoppeln unter meinen Achseln: „Ich lass die jetzt wieder wachsen!“ Da guckt K schon gar nicht mehr, sondern hält mir wieder den Becher hin: „Wassa!“ Verinnerlicht werden kann nämlich nur, was passiert.

(Foto: Veröffentlichung mit queerfeministischer Genehmigung von ing read. Danke!<3)