K wollte heute nach dem Aufwachen direkt eine Folge Pumuckel sehen, weil sie in Pumuckelbettwäsche geschafen hat. In einer Stunde müssen wir im Kinderladen sein, ich würde eigentlich gerne gemütlich frühstücken, (dann Sachen raussuchen, Zähneputzen, Haare kämmen) und dann pünktlich los. K wimmert. Ich spüre Anspannung.
Streng genommen ist schon die Entscheidung ein Kind zu bekommen, die erste adultistische Entscheidung, die Erwachsene gegenüber Kindern treffen.
Diese Entscheidung ist quasi die Grundlage für das Machtungleichgewicht, das die Beziehung zwischen Jung und Alt ab sofort prägt. Der Fötus hat keine Wahl, er wächst heran, hat es sich nicht ausgesucht. Auch nichts von dem was dann so folgt: mögliche Abtreibung, Pränataldiagnostik, Fruchtwasseruntersuchung, Kaiserschnitt, Hausgeburt, Notärztinneneinsatz. Wir Erwachsenen sind es, die entscheiden, du kommst auf die Welt (oder auch nicht).
Auch alle weiteren Entscheidungen fällen Erwachsene. Großstadt oder Dorf, Einzelkind oder Kommune, Krippe oder erst Kindergarten, Kiezschule oder Auswandern, um Unschooling machen zu können. Und das sind nur die größeren Entscheidungen. Die kleinen sind viel alltäglicher. Ausschlafen oder vom Wecker geweckt werden. Zum Kinderladen im Auto oder zu Fuß gebracht werden, (zu einem Kinderladen, den – logisch – Erwachsene für das Kind rausgesucht haben), zu einer von Erwachsenen festgelegten Uhrzeit abgeholt werden, mit zum Einkaufen genommen werden, noch so und so viel Zeit auf einem Spielplatz bekommen, um die und die Zeit Abendbrot essen, nur ein Stück Schokolade danach essen zu dürfen, dann baden, Zähneputzen, Bücher angucken und keinen Film gucken, dann schlafen sollen. ALL diese und noch mehr Entscheidungen trifft eine erwachsene Person für das Kind.
Täglich. Wöchentlich. Jährlich. Insgesamt ganz schön lange.
Ich finde das weitgehend in Ordnung so. Denn, nicht nur nach Jesper Juul, aber eben auch (Jesper Juul, dessen Frauenbild in der Tat unterirdisch ist, der aber was Beziehung vs. Erziehung und Gefühle bei Kindern angeht, ziemlich tolles Zeug schreibt!) ist für mich eine Eltern-Kind-Beziehung eine Beziehung, die davon geprägt ist, dass die Bedürfnisse beider Seiten erfüllt werden. Erwachsene gehen zur Arbeit, unterliegen da auch wieder Zwängen (z.B. Anfangszeiten), Erwachsene wollen abends irgendwann auch mal ihre Ruhe haben, Erwachsene sind dafür verantwortlich ihren eigenen Tag zu strukturieren und den des Kindes zu integrieren. Ein Kind hingegen kann viele Entscheidungen noch nicht allein treffen, weil es die Tragweite selbiger noch nicht kennt und eine erwachsene Person hat also die Verantwortung für das Wohl dieses Kindes übernommen. Das ist für mich auch der Kern und das Alleinstellungsmerkmal von Adultismus im Vergleich zu anderen Diskriminierungsformen. Denn im Unterschied zu anderen –ismen wie Rassismus, Sexismus, Ableismus, etc. ist bei dem Machtungleichgewicht zwischen Erwachsenen und Kindern ein solches eben tatsächlich vorhanden. Mit dieser Macht von Erwachsenen gegenüber Kindern nun verantwortungsbewusst umzugehen, sie zu reflektieren, zu hinterfragen und im Ergebnis nicht zu missbrauchen – das ist für mich die Auseinandersetzung mit Adultismus.
Mir hilft bei dieser Auseinandersetzung, sich eben mal anzugucken, wie viele Entscheidungen im Leben eines Kindes per default von uns Erwachsenen getroffen werden und dann abzuwägen im Fall eines Konfliktes. Meines Erachtens nach entstehen die meisten Konflikte mit Kindern genau daraus, dass ein Reflektieren des Machtungleichgewichts und dann Abwägen, wichtig oder unwichtig, nicht stattfindet. Das Kind hat meistens schon wieder den ganzen Morgen alles mitgemacht und war kooperativ wie Sau und jetzt will es eben auch mal was. Zum Beispiel Sandalen bei Regen anziehen oder keinen Schneeanzug bei Schnee. Brech ich mir da wirklich eine Zacken aus der Krone, das Kind machen zu lassen? Muss ich mich da wirklich unbedingt gegen dieses kleine Wesen durchsetzen? Oder ist es nicht viel chilliger, die Gummistiefel oder den Schneeanzug hinter dem Rücken des Kindes einzupacken und dann später, bei nassen Füßen oder frierendem Kind, zücken zu können und in dem Kleinkind eine dankbare Abnehmer_in zu finden, das aber seine eigene Erfahrung machen durfte?! Nein! Ich brech mir keinen Zacken aus nüschte heraus, sondern ich bin im Gegenteil eine machtvolle Erwachsene, die mit ihrem Erfahrungsvorsprung verantwortungsbewusst umgeht und dabei einen wertschätzenden Umgang mit dem noch nicht so erfahrenem Kind lebt. Ganz nebenbei lernt das Kind, dass Erwachsensein bedeutet, eine entspannte Person zu sein, die nicht mit Kindern kämpfen will, aber gerne für sie sorgt, die für ein Kind mitdenkt und den gemeinsamen Flow über eine mögliche eigene Autorität stellt. Ja, das ist schwer. Und ja auch ich stöhne in solchen Momenten und hätte lieber, dass es flutscht.
Ich hab dann schon oft gebrüllt, „Mann! Ich hab keinen Bock auf so einen Scheiss! Ich will jetzt einfach endlich raus gehen…“
Aber das führt nunmal nicht dazu, dass das Kind sich meinem Willen beugt. Es führt dazu, dass es Angst kriegt vor mir. Mir, einer erwachsenen Person, die sich alles andere als erwachsen verhält. Und wie auch? Ich finde es nicht verwunderlich, dass mein erster Impuls in solchen Momenten eben nicht ist, geduldig zu erklären oder gleichmütig gelassen das Kind gewähren zu lassen. Denn mich hat als Kind nie jemand gewähren lassen. „Wir gehen hier so lange nicht los, bis du spurst!“ Das ist die Erziehung meiner Kindheit. Bäm. Machtausübung volle Breitseite.
Die Ungeduld, die Anspannung, die ich heute spüre, wenn K Pumuckel gucken will, statt aufzustehen und bei 5° in Sandalen raus will, ist die Ungeduld, die ich von meinen Eltern, Erzieherinnen, Lehrer_innen während meiner Kindheit zu spüren bekam. Aber jetzt kommt’s! Die ist heute ja gar nicht mehr relevant. Ich brauch sie nicht, um die Beziehung mit meinem Kind zu leben, die ich tatsächlich mit meinen Kind haben will. Dafür ist diese Ungeduld sogar hinderlich. Deswegen werd ich die nicht verteufeln, denn sie ist ja da. Auf sie mit Anspannung zu reagieren, hat mir in meiner Kindheit gute Dienste erwiesen, vielleicht hab ich mich dann mehr beeilt, vielleicht hab ich die „richtigen“ Schuhe angezogen, um mir die Liebe meiner Eltern zu sichern. Es gibt einen Grund und Ursachen, warum es diese Ungeduld gibt, warum mich die Anspannung packt, ich kann die Geschichte dahinter in meiner Biografie sehen und damit ok sein. Aber mit K will ich dann eben doch was Neues ausprobieren und so rappel ich mich in solchen Momenten (auch wenn ich schon gebrüllt hab) wieder auf und das fühlt sich schön für mich an. Und ich sehe die Erleichterung beim Kind.
Zurück also zu heute Morgen. Wir liegen im Bett, K wimmert nach Pumuckel, von dem sie eine Folge auf meinem Handy glotzen will. Ich will wie schon geschrieben wahnsinnig gerne aufstehen, frühstücken, Anziehen, Zähneputzen, Haare entfitzen und pünktlich im Kinderladen sein. Keiner dieser Punkte ist das Bedürfnis des Kindes. Also fünf Sachen, die weil ich sie so will, so stattfinden werden. Dem gegenüber der Wunsch von K Pumuckel zu gucken. Mir fallen jede Menge Gründe ein, warum ich nicht will, dass sie Pumuckel schaut; ich will nicht, dass sie so früh am Morgen gleich auf einen Bildschirm starrt, ich hab Sorge, dass wir zu spät kommen, dass sie nach einer Folge noch eine weitere will und das Geschrei dann groß wird und wir erst recht nicht pünktlich los kommen…. Ich sage all das, K quengelt, sie wolle aber…un-be-dingt…sooo-fort, ihre Stimme wimmerig.
Ich höre eine alte Stimme in meinem Kopf sagen; wenn du so rumheulst, dann erst recht nicht!
Ich guck mir den Gedanken an und lasse ihn ziehen. Rumwimmern IST eine Möglichkeit einer 4-jährigen für ihre Bedürfnisse einzustehen und K’s Bedürfnis ist es, gerade noch gemütlich im Bett liegen zu bleiben und was zu glotzen. Und ich guck mir auch diesen Gedanken an, mach ihn mir bewusst und kann ihn sehr gut nachvollziehen. Denn das will ich doch auch! Ganz oft! Wow, wie gemütlich! Ich versprech ihr am Wochenende, kann sie eine ganze Folge Pumuckel gucken. Für jetzt such ihr ein Video mit dem Pumuckel-Titellied raus. Nach einem Mal gucken ningelt sie wieder, das war zu kurz. Ich mach es ihr noch zweimal an. Dann stehen wir auf.