Samstagabend, Micha, K und ich haben gerade Abendbrot gegessen. Zum Verdauen lieg ich auf dem Sofa, Micha auf ner Yogamatte, K wuselt in der Wohnung rum und zwischen uns hin und her, bringt ein Buch „Kann mir jemand das vorlesen?“, Micha kann und will. K legt sich zu ihm, sie fangen an zu lesen, als die Waschmaschine piept. Das Signal fürs Fertigsein. „K, kannst du vielleicht den zweiten Knopf von links an der Waschmaschine drücken, damit das Geräusch aufhört?“ K macht gerne was für uns, sie springt auf und ruft aus dem Bad: „Aber welchen Knopf?“ Ich ruf zurück: „Ach irgendeinen! Einfach den AUS-Knopf oder ganz rechts den Orangenen, damit die Tür aufgeht!“ K mit schon wimmriger Stimme: „Aber ich weiß nicht welchen!“ Ich: „Egal! Es hat doch schon aufgehört zu piepsen. Du hast offenbar schon den richtigen Knopf gedrückt. Komm einfach wieder her!“ K kommt in die Küche zurück: „Aber ich habs falsch gemacht!“ Ich stutze. So einen Satz hab ich noch nie von ihr gehört.
Ich vermeide es die Worte „richtig“ oder „falsch“ zu benutzen. Manchmal sag ich zu K, wenn sie sich die Schuhe selber angezogen hat: „Cool, angezogen, einfach mal andersrum.“ Ich möchte nichts bewerten, ich will sie ihre eigenen Erfahrungen mit Dingen machen lassen, ohne da immer meine Meinung drüber zu pinseln. Ich will ihr nicht vorbeten, was ich für schön, witzig, eklig, falsch oder richtig, gefährlich oder leicht halte. Natürlich kriegt sie mich mit, sie sieht, was ich so mag und wie ich was mache, dass ich aus den und den Gründen keine Tiere esse zum Beispiel. Ich habe persönliche Beweggründe. Die haben nichts mit dem Tun anderer zu tun. Ich möchte das Tun anderer nicht bewerten.
K zum Beispiel trinkt gerne saure-Gurkenwasser aus dem Glas. Wie oft saßen schon Menschen bei uns am Abendbrotstisch, die ihr das ausreden wollten; „Nein, bäh, das ist ganz sauer, das schmeckt doch nicht!“ Als K das erste Mal dieses Gurkenwasser trank ,war sie bisschen was über ein Jahr alt, sie mochte damals schon saure Gurken und zeigte mir, dass sie das Wasser kosten will. Ich gabs ihr, sie mochte es und trinkt das seitdem immer wieder. Ich würde nie Saure-Gurken-Wasser trinken, aber ich bin ja auch ein anderer Mensch. Ein anderer Mensch allerdings, mit ganz schön viel Verantwortung diesem Kind gegenüber. Denn wenn ich sage, „iiih Gurkenwasser, das willst du trinken!? Das ist doch bäh und sauer!“ kreiere ich eine Wirklichkeit, die sehr offensichtlich mit Ks Vorlieben gar nichts zu tun hat. Deswegen vermeide ich Urteile und Zuschreibungen wie falsch oder richtig.
Umso erstaunter bin ich jetzt über Ks „Ich habs falsch gemacht“. Ich frage sie was sie meint und sage, ich glaube, dass alles richtig ist, denn das Piepsgeräusch sei doch weg und das wollten wir doch.
K ist mittlerweile ganz verzweifelt, so unverstanden fühlt sie sich: „Aber ich habs falsch gemacht, das geht jetzt wieder los! Die ganzen 3 Minuten…“ Endlich versteh ich sie.
Sie hat noch mal auf START gedrückt, die Maschine neu gestartet, die Waschmaschine läuft jetzt noch mal von vorne durch „die ganzen drei Minuten“ heißt für K, die Zeitdimensionen noch nicht so greifen kann, einfach; die ganze Zeit. Zusammen gehen wir ins Bad und genauso ist es, die Anzeige ist auf 1h23min.
Ich freu mich und bin begeistert. Ich umarme K und sag ihr, wie ich mich freue, dass sie so drauf bestanden hat, dass sie es „falsch“ gemacht hat. Ja! Sie hat es falsch gemacht! Falsch im Sinne von den falschen Knopf gedrückt. Nicht im Sinne von einen („Riiiiesen-OMG-Katastrooopheeeeee!!!“) Fehler gemacht.
Mir wird klar, dass sich hier grade ganz viel vermischt. Meine eigene Erfahrung von falsch und richtig sein, etwas falsch oder richtig machen, von außen als falsch oder richtig wahrgenommen werden. Diese Erfahrung sitzt so tief und geht von je einher mit der Bewertung meiner Person, meiner Leistung, meiner Gefühle oder Gedanken. Etwas falsch machen hat in meiner Erziehung und meiner Erinnerung daran, nie die Bedeutung gehabt von „falsch gemacht – ok, anders ausprobieren!“
Sondern, etwas falsch machen bedeutete immer Konsequenzen fürchten müssen, Strafen erwarten, einen Eintrag der Lehrerin zu Hause unterschreiben lassen zu müssen, weil ich einen Pflaumenkern aus dem offenen Klassenzimmer-Fenster geschmissen hatte. Das gar nicht als so schlimm empfunden zu haben. Es heute lächerlich lachhaft zu finden, dass sich damals erwachsene Menschen damit beschäftigt haben! Daraufhin aber mit Liebesentzug, ignoriert werden und Herabwürdigung: „Was bildest du dir eigentlich ein?!“ oder auch, bei Uneinsichtigkeit, mit Schlägen bestraft zu werden.
Etwas „Falsch oder richtig“ machen, darüber wurde mir früh die Deutungshoheit entzogen. Die Erwachsenen bestimmten darüber, was falsch und richtig war.Falsch = Strafe. Richtig = Lob.
Ich kriege einen Gänsehaut hier mit K im Bad vor der Waschmaschine, als ich realisiere, wie ich diese Verkopplung heute auflösen kann und falsch und richtig wieder zu einfachen Worten werden. Falscher Knopf. Richtiger Knopf. Einen falschen Knopf an der Waschmaschine drücken, im Gegensatz zu den richtigen Knopf finden.
Nicht falsch sein, sondern einfach nur etwas falsch machen.
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