Ich gehe eigentlich immer erst nach 12, manchmal gegen 1 ins Bett. Viel zu spät für mich, um am nächsten Tag ausgeschlafen zu sein. Vor 10 bin ich das dann am nächsten Morgen grundsätzlich auch nicht. Ausgeschlafen. Aufstehen muss ich allerdings trotzdem schon früher. Im Kinderladen beginnt Punkt 10 ein Morgenkreis, die Erzieher*innen wünschen sich, dass bis da alle Kinder da sind, um gemeinsam den Tag zu beginnen. Das versteh ich, aber es nervt mich dennoch unglaublich, ich gerate jeden Morgen in Stress und spätestens 10 vor 10 beginne ich K anzutreiben. „Los jetzt, bitte such dir eine Hose raus und ein T-Shirt. Willst du eine Windel oder einen Schlüpfer? Win-del oder Schlüp-fer? WIN-DEL O-DER SCHLÜP-FER???!!!“.
Du sollst nicht so ungeduldig sein
Das Kind seift seelenruhig den Waschlappen ein, denn vorher wollte ich von ihr, dass sie sich das Gesicht wäscht. „Bitte leg dich hin, damit ich dir die Windel anziehen kann.“ Sie geht zum Kleiderschrank, zieht nacheinander zwei Schubladen auf, schaut rein. „Ähm, ich wollte noch….“ „Bitte K!!!!Le-g di-ch hi-n!!!“ Sie guckt mich an, ihre Schultern klappen nach vorn, der Kopf senkt sich, die Mundwinkel auch, sie guckt mich von unten an und sagt: „Du sollst nicht so ungeduldig sein.“ Bäm! Den Kern getroffen! Rein in die Magengrube!
Ich. bin. ein. ungeduldiger. Mensch.
Beim Autofahren ruf ich andauernd Sachen wie „Fahr doch mal!“, im Stau werd ich nervös und attestiere dem Tag schon mal, gelaufen zu sein. An der zu langen Supermarktkasse zögere ich keine Minute, die Kassierer*in zu bitten nach ner weiteren Kasse zu klingeln. Ich bin ein furchtbar ungeduldiger Mensch und stress mich schnell. Mittlerweile weiß ich ein bisschen, woher das kommt. Wie bei so vielen Eigenschaften, die ich mag an mir oder eben nicht mag, hab ich das Ungeduldigsein gelernt. Ganz bin ich dieser Stimmung noch nicht auf die Spur gekommen, aber ich ahne heute, dass es was damit zu tun hat, dass meine Welt von klein auf in Richtig und Falsch eingeteilt war: Ich war entweder „lieb“ oder „ungezogen“. Richtig oder falsch. Wenns heute im Autoverkehr nicht flutscht, dann ist das für mich nicht einfach eine Verzögerung, dann ist das einfach falsch. Falsch im Gegensatz zu Richtig, wo der Verkehr eben mit 50 kmh zu laufen hat. Wenn ich Bruchrechnung nicht gleich verstanden habe, wenn eine Person, die sich mir gegenüber als erziehungsberechtigt verstand, mir Zweidrittel plus Einfünftel beibringen wollte, dann hab ich nicht nur, etwas nicht so schnell verstanden. Sondern dann war ich falsch, denn „Was gibt’s denn daran jetzt nicht zu verstehen? Du willst ja garnicht!“.
Richtig oder Falsch. Zwei Pole.
In meiner Innenwelt gibt’s keine Zwischenstufen, denen ich lässig-locker-fluffig-fröhlich-tiefenentspannt-und-völlig-in-meiner-Mitte mit Gelassenheit begegnen kann. Ich bin da dran, aber als Grundeinstellung gibt es nur richtig oder falsch. Wenn der Stau 20 Minuten dauert, bin ich 20 Minuten angespannt, das Spannungsgefühl überschwappt und durchdringt mich. Da gibt’s kein „Der Stau dauert jetzt ein bisschen, aber es ist nur ein Stau, es ist eine Zeitverzögerung, die hat nichts mit mir zu tun, das passiert und ich bin der gleiche Mensch wie vorher, da muss nix in WALLUNG KOMMEN, DENN ICH BIN NICHT DER STAU, VERDAMMT NOCHMAL!“ Das alles ahne ich, aber ich kanns nicht fühlen, denn ich habe nie gehört: „Ok, du verstehst Bruchrechnung nicht, das ist aber auch kompliziert, dafür kannst du andere Sachen gut und bist grundsätzlich in Ordnung. Das hat nicht mit dir zu tun! Denn Bruchrechnung ist nur eins von vielem! Und über allem steht: Du, kleine Suse, bist richtig und es ist ok, Bruchrechnung nicht zu verstehen!“ Wenn so was mal jemand gesagt hätte!
Es heute zu sagen, kann heilen
Aber jetzt hat es jemand gesagt. Ich, dem Kind. In einer früheren Situation. Ich hab gesagt: „K, ich fühl mich so unwohl, ständig in diesen sinnlosen Stressmodus zu kommen, das hat nichts mit dir zu tun, dass ich gestresst bin. Du bist völlig richtig, das hat nur mit mir zu tun und ich will da gerne raus kommen. Bitte sag mir einfach, wenn ich wieder so drauf bin, dass ich aufhören soll damit. Das würde mir sehr helfen!“
Auf dem Spielteppich vor mir liegt jetzt das Kind, ich hab die frische Windel in der Hand, wir gucken uns an: „Du sollst nicht so ungeduldig sein.“ Ich atme durch und bin fast überrascht, wie leicht das dann doch geht, meine Stimme wieder zu erden. Ich sage: „Du hast recht, danke. Das fällt mir soo schwer nicht ungeduldig zu sein und es ist bestimmt unangenehm für dich, dass ich dich damit unter Druck setze?“ Ihr Mundwinkel sind immer noch unten, den Unterkiefer schiebt sie vor, in ihren Augenwinkeln seh ich aber schon die Entspannung für das nächste Lächeln, noch grummelig stößt sie raus: „Ja. genau.“
Ich zieh K an und genieße die Nähe zu ihr und die Nähe zur kleinen Suse und die Ruhe in mir, der großen, die da auf einmal einkehrt. Ich freu mich, dass K mir zeigen kann, wenn etwas nicht gut läuft und dass sie weiß, dass es nicht an ihr liegt und dass sie sogar weiß, dass es an mir liegt. Und vorallem, dass sie das sagen darf.
Die Verantwortung für die Stimmung hab ich
Denn natürlich hat mein Stress nullkommanix mit ihr zu tun oder damit, dass sie sich langsam wäscht oder nicht die passenden Klamotten findet, denn K ist schon seit 2 Stunden wach und spielt!! Ich hingegen bin zu spät ins Bett gegangen, müsste einfach mal früher aufstehen, um alles gebacken zu kriegen. Ich bin die mit der Verantwortung! Ich hab die Macht. Ich habe die Verantwortung für die Stimmung, die bei uns herrscht. Immer ich und nie das Kind.
Es ist 9 Uhr 58. 2 Minuten vor Morgenkreis. In der Kinderladen brauchen wir 7 Minuten. „Komm wir gehen noch mal ins Bad und du wäschst dir noch mal den Honig von den Händen…“ im Bad taucht K wieder gaaaanz langsam den Waschlappen ins Becken, nimmt die Seifeeeee, reibt sie laaaangsam über den Waschlappen… Ich spüre schon wieder die Anspannung hochkommen. Ich sage: „K, es tut mir leid, aber es fällt mir so schwer mich zu entspannen, wenn ich sehe, dass du dich so langsam wäschst, das ist nicht toll von mir, aber ich kann im Moment nichts gegen den Druck machen, den das bei mir auslöst. Ich merke wie die Zeit vergeht und befürchte, dass wir zu spät in den Kinderladen kommen werden und es ist mir wichtig ist, da pünktlich zu sein.“ Dann geh ich aus dem Bad, suche die letzten Sachen zusammen, öffne die Wohnungstür: „Kommst du?“ „Ja!“ Einen Wimpernschlag später steht sie da.
Im Kinderladen beginnt in dieser Minute der Morgenkreis. Nun denn. Wir kommen ja schon.