Ich hasse es Verantwortung zu übernehmen. Ich schlafe gern aus. Ich bin egoistisch. Und unordentlich. Ich kann nicht kochen. Ich räume nie auf. Ich lass mich gern bedienen. Und ich finde mich dabei gut und habe eigentlich überhaupt keine Lust daran irgendetwas zu ändern.
Warum hab ich mich dann trotzdem bewusst dazu entschlossen ein Kind zu bekommen? Und dann auch noch mit einer selbstbewussten, individualistischen, kämpferischen und kritischen Frau, die niemals für mich putzen oder Wäschewaschen würde!?
Es hätte alles so schön leicht sein können. Ich hatte Freundinnen, bei denen ich so faul und egoistisch sein konnte, wie ich wollte. Sie haben einfach (fast) alles gemacht. Mit ihnen konnte ich, ohne mich selbst zu hinterfragen, meine von zu Hause gelernten Macho-Vorstellungen von „guter Beziehung“ ausleben.
Und ich sehe diese Frauen überall: Sie kennen ihre Rolle im Leben. Sie sind studiert, selbstbewusst, berufstätig, stark – und machen zu Hause in ihren Beziehungen den Einkauf, die Hausarbeit und die Kindererziehung komplett alleine. Klingt perfekt für mich als Mann. Ich mache weiter wie bisher, spiele am Wochenende mit den Kindern und den Rest macht eine hübsche toughe Selbstausbeuterin für mich.
Es gibt nur ein einziges Problem: Diese Frauen öden mich an. Sie und ihre Kleinfamilien sind sooo langweilig! Und noch viel schlimmer: Die vorherrschende Stimmung, wenn ich solche Beziehungshaushalte besuche, ist so durchflutet von Enttäuschungen und subtilen Vorwürfen, fast schon Hass, dass ich genau weiß: So möchte ich nicht leben.
Als Suse im sechsten Monat schwanger war und wir das Buch Kinderkacke gelesen haben, habe ich bemerkt, dass wir aber genauso leben werden, wenn wir uns nicht radikal ändern. Selbst wenn wir uns anfangs zusammen ums Kind kümmern, werde ich in meiner faulen und macho-geprägten Art immer mehr versuchen, alle Aufgaben Suse über zu helfen, damit ich wieder ein entspanntes Leben haben kann. Das wird aber mit Suse nicht gehen, weil sie nicht bereit ist, sich aufzuopfern (wie es ganz viele Frauen tun), sondern selbst sagt: Her mit dem schönen Leben! Das würde zu Streit und eigentlich unweigerlich zur Trennung führen. Ist so.
Als diese feststellende „Diskussion“ auf ihrem Tiefpunkt angelangt war, stand die Frage im Raum, ob wir uns deshalb nicht besser gleich trennen und alleinerziehend werden. Dabei fiel der Satz: „Eigentlich stelle ich es mir einfacher vor, wenn ich das Kind allein erziehen könnte. Dann müsste ich mir nicht zusätzlich noch Gedanken um die Beziehung machen“. Normalerweise würde an diesem Punkt vermutlich alles enden. Aber nicht so bei uns. Wir haben aus der Erkenntnis eine Idee gezogen: Lass es uns doch genauso machen! Jede/r ist einen Tag lang wie „alleinerziehend“ und am nächsten Tag ist wieder der/die andere dran! Unser MODELL war geboren – noch vor dem Kind!
Statt weiterhin faul und verantwortungslos dahin zu leben, wie bisher, hab ich mich auf einmal verpflichtet 50% meiner Lebenszeit ALLES das zu tun, was Suse am darauffolgenden Tag auch tun wird: Wickeln, Füttern, Bespaßen, Aufräumen, Einkaufen, Putzen, Waschen, …
Klingt erstmal nach einem schlechten Verhandlungsergebnis für mich.
Warum es sich trotzdem lohnt, lest ihr jetzt. Meine Vorteile durch unser Modell:
Niemals ein schlechtes Gewissen!
Seitdem Suse schwanger ist, hab ich vor dieser Situation Angst: Wir sitzen beide am Abend zu Hause, sie stillt das Kind. Ich will eigentlich mit meinen Freunden in die Kneipe. Ich kann ja nicht stillen und eigentlich nichts tun. Ich traue mich aber nicht zu gehen, weil ich Suse nicht das Gefühl geben will, dass ich sie allein lasse. Wenn ich bleibe sagt Suse „Geh ruhig!“ und ich hab das Gefühl in der Kneipe etwas zu verpassen. Wenn ich gehe, ist Suse alleingelassen und ich kann den Kneipenabend nicht genießen und werde aus schlechtem Gewissen früh wieder gehen… Was mir zusätzlich den Spott der Kumpels einbringt („Jaja, Papa muss nach Hause“).
Mit unserer Aufteilung kann es diesen Problem gar nicht geben. Denn sie regelt, wer an welchem Tag verantwortlich ist. Wenn heute mein freier Abend ist, dann gehe ich natürlich in die Kneipe, gern auch bis zum nächsten Morgen. Suse wird nichts sagen. Denn: Ich sage auch nichts, wenn sie am nächsten Tag das gleiche tut. (Jaja, ich weiß, jetzt kommt immer die Frage: Macht ihr dann nie was zusammen?)
Ich bleibe frei!
Unsere klare Teilung sorgt dafür, dass ich jeden zweiten Tag komplett frei bin und an diesen Tagen mein altes Leben rekonstruieren kann. Ich kann mir aussuchen, wie sehr ich den Tag für Arbeit oder Freizeit nutze und wie viel ich von meiner Nacht abgeben will. Das ist möglich, weil ich dank der Regel Planungssicherheit habe. Ich kann heute meinen Kollegen sagen, dass ich in 3 Wochen am Mittwoch und in 4 Wochen am Donnerstag im Büro sein kann. Kein „Mein Kind ist krank geworden“ kann mir dazwischen kommen. Was für ein Luxus für junge Eltern!
Nicht falsch verstehen: Ich bin immer noch unfassbar faul und verantwortungsscheu. Ich finde das nach wie vor richtig und strebe an, möglichst viel Zeit so zu leben. Aber es wäre mit Kind und Beziehung nicht möglich. Deshalb bin ich einen extrem fairen Tausch eingegangen: Ich gebe 50% meiner Zeit ab um für Gleichberechtigung und damit Stabilität mit Kind und Beziehung zu sorgen – und dafür bekomme ich die Möglichkeit, garantiert jeden zweiten Tag nur das zu tun, was ich möchte, ohne mich mit jemanden abzustimmen oder etwas rechtfertigen zu müssen.
Suse bleibt die Suse, in die ich mich verliebt habe
Anfangs schien es – wie oben beschrieben – erstrebenswert zu sein, wenn die Frau sich um die ganzen Arbeiten rund um Kind und Haushalt kümmert, auf die ich keine Lust habe. Doch wenn man monate- oder jahrelang rund um die Uhr so gut wie allein ein Kind betreut, dann macht das was mit einem. Das Kind wird Lebensinhalt Nummer eins. Und dann fängt man an über die Konsistenz der Kinderkacke, über Milchflaschensysteme und die Lieblingsspielzeuge der Kleinen zu sprechen. Anfangs ist das interessant und der Mann, dessen Lebensalltag sich normalerweise kaum verändert, hört sich das noch interessiert an. Aber irgendwann nervt es. Ihn, weil er es belanglos findet. Sie, weil er nicht versteht, wie wichtig das alles ist.
Und jetzt kommt‘s: Suse und ich reden ständig über die Konsistenz der Kinderkacke! Weil es uns beide jeweils jeden zweiten Tag betrifft. Aber: Wir führen jeder auch noch unser altes Leben weiter. Suse macht immer noch all das, wofür ich mich damals so unsterblich in sie verliebt habe. Wir entdecken sozusagen ein Thema (das Kind) gemeinsam und erhalten uns gleichzeitig die ursprüngliche Basis unserer Beziehung (unser altes Leben). (Außerdem finde ich sie einfach „heißer“, wenn sie nicht über Babyzeug redet.)
Wir können die Philia erreichen
Dadurch, dass jeder von uns jeden zweiten Tag 24 Stunden (zum großen Teil allein) mit dem Kind verbringt, stecken wir beide sehr tief im gleichen Thema. Diese gleiche Erfahrungswelt schafft Augenhöhe zwischen uns als Partnern. Wir besitzen exakt die gleichen Pflichten und Freiheiten. Und das macht etwas entscheidendes mit unserer Beziehung: Es entsteht kein gefährliches Machtgefälle zwischen uns. Ungerechtigkeiten zwischen uns werden sofort offensichtlich. Es ist ja von vornherein alles gerecht geregelt! Dadurch steht selten bis nie etwas ungeklärtes im Raum. Das erspart uns die oben beschriebene hasserfüllte Luft der Enttäuschungen in unserer Wohnung. (So das Ziel!! Wir sind auch noch auf dem Weg dahin, deshalb ja der Blog….)
Und: Unser Modell ermöglicht es uns, uns gegenseitig nicht als Erfüller einer Rolle (Mutter, Vater, Geldverdiener, Kindererzieherin) wahrzunehmen, sondern als gleichwertige Individuen. Das ermöglicht uns die, wie ich finde, nachhaltigste und erstrebenswerteste Form der Liebe zu erreichen, die Philía.
Ich gebe meiner Tochter eine faire Chance
Viele würden sagen, dass Jungen und Mädchen heute natürlich gleichberechtigt aufwachsen. Ich sage: Das ist falsch! Juristisch haben sie vielleicht die gleichen Bedingungen aber diese werden in der gesellschaftlichen Praxis nicht mit Leben gefüllt. Mädchen werden von Geburt an anders als Jungen behandelt. Ihnen werden rosa Kleidchen und Spielküchen geschenkt (Message: Bloß nicht dreckig machen, nicht toben, hübsch aussehen, für andere sorgen), während Jungen bequeme Turnschuhe und einen Fußball bekommen (Message: Geh raus, erkunde die Welt, miss dich mit anderen, sei besser als sie). Klingt zu platt? Kann daran liegen, dass die Spielzeugindustrie seit deiner Kindheit deutlich krasser geworden ist (s. www.pinkstinks.de)!
Zwar machen mehr Mädchen Abitur und studieren öfter als Jungen. Aber in welche Berufe gehen sie? Deutlich mehr in soziale und weniger gut bezahlte Berufe. Die Frauen sind nicht etwa „einfach die besseren Menschen“, sondern gehen in soziale Berufe, weil ihnen von Kindheit an das Sorgen um andere nahegelegt wurde (s. die Spielküche). In ihrem Beruf angekommen kämpfen sie nicht für mehr Gehalt weil ihnen immer gesagt wurde, sie sollen artig und lieb sein (s. das pinke Kleid).
Das ist natürlich sehr verkürzt. Aber meine Überzeugung ist: Es gibt keinen nennenswerten angeborenen Unterschied zwischen Mann und Frau. Alles wird von der Gesellschaft gemacht, also erzogen/gelernt.
Ich will, dass unsere Tochter nicht in erster Linie als Mädchen wahrgenommen wird, sondern als Mensch. Mit gleichen Chancen wie Jungen ihres Alters. Deshalb leben wir ihr mit unserem Modell seit Tag eins vor, dass Männer und Frauen immer auf Augenhöhe sein sollten.
Ich kann die Welt besser machen
Die Situation der Frauen in der Welt ist aber noch viel krasser, als gerade beschrieben. Es gibt weltweit 200 Millionen weniger Frauen als Männer. Warum? Weil Frauen Opfer von Abtreibung, Menschenhandel und Mord werden. Frauen gelten auch in unserer Gesellschaft vielerorts als Objekt, das nur an seinen Äußerlichkeiten gemessen wird. Woher kommt dieses verachtende Frauenbild und warum geht es nicht weg? Dieses Buch versucht eine psychoanalytische Erklärung zu finden: Durch die Abhängigkeit des Kindes von der aufziehenden Person entstehen sowohl Liebe als auch Hass (soweit Freud). Da in der realen Welt da draußen Mütter die mit Abstand meiste Zeit mit Kindern verbringen und die Väter nur für die „Quality Time“ am Wochenende und am Abend da sind, richten die Kinder ihren Hass vor allem gegen die Mutter. Dieser Hass führt sowohl bei Frauen als auch bei Männern später zur Geringschätzung der Frau insgesamt. Unsere Lösung: Wir sind beide für unser Kind da. Deshalb kann es sowohl die Liebe als auch den Hass auf uns beide richten und damit lernen: Liebe und Hass hängen nicht vom Geschlecht ab.
Auch wichtig: Wenn ich als Mann ab jetzt die Hälfte meines Lebens damit verbringe, einem hilflosen kleinen Wesen beim Gedeihen zu helfen, lerne ich etwas, was untypisch für unsere männliche Sozialisation ist: Einfühlungsvermögen, Ruhe, Geduld, Gefühlsreflexion.
Nur mal so ein Gedanke: Wäre es nicht möglich, dass unsere maskuline, harte Welt mit ihren Kriegen und ihren Ungerechtigkeiten ein kleines bisschen besser würde, wenn jeder Mann sich jeden zweiten Tag um sein Kind kümmern würde?
Fazit
Ich habe meine Schwächen erkannt, liebe sie aber. Ich habe aber auch gemerkt, dass sie schwer mit etwas anderem, das ich will (Kind + Beziehung), in Einklang zu bringen sind. Deshalb habe ich mir zusammen mit Suse selbst eine Regel auferlegt, die meine Schwächen so kompensiert, dass ich damit andere nicht einschränke aber mit mir allein trotzdem sein kann, wie ich will. Langfristig kann ich dadurch ein glücklicher Mensch bleiben. So eine Regel zu finden ist meine Idee von guter Politik. Ich glaube, wir haben gute Politik gemacht: Mit unserem Modell!
Wie alt seit Ihr und was habt Ihr gelernt bzw. welcher Arbeit geht Ihr nach? Vielleicht kann das in Eurem Blog hier nachgelesen werden und ich bin nur noch nicht drauf gestoßen….Es ist doch bemerkenswert, wie Ihr das machen könnt und trotzdem Euren Lebensunterhalt nebenbei bestreitet? In Pankow/ Prenzlberg ist das was Ihr beschreibt übrigens kein Problem. Das was das Problem ist, ist die Anerkennung der Betreuung eines Kindes. Sei es beim Mann (im Sinne von Rollenverteilung/ Arbeitgeber) oder bei der Frau (Arbeitgeber/ Hausfrau). Wenn Ihr versteht, was ich meine. Also die Rolle des Mannes innerhalb einer Familie, steht gar nicht zur Diskussion, weils Mann hier schon geschafft hat. Bei einer gleichberechtigten Verteilung in Bezug auf Kinderbetreuung bleibt die Frage „Wie kann ich das finanziell bewältigen?“ offen. Wie macht Ihr das? Würde mich sehr über eine Antwort freuen.
Lieben Gruß
Denise
Hallo Denise, wir machen typische Berlin-Jobs: Micha ist selbstständig mit einer Onlinefirma und Suse ist Journalistin beim ö/r-Hörfunk. Wir können uns weitestgehend aussuchen wann wir arbeiten, das ist wahrscheinlich bislang die einzig mögliche Ausgangssituation für ein Modell wie das unsere.
Achja; wir sind 28 und 33 Jahre alt.
Hallo Micha! Ich habe eure Website mal in meinem Blog vorgestellt: http://headio.net/mutter-vater-kind-traditionsbefreit/
Danke! Freut uns sehr! Wie macht ihrs denn jetzt?